Tagungsbericht von Claudia Brügge (Vorsitzende DI-Netz e.V):
Vom 26. bis 28. August 2015 fand im belgischen Gent eine Konferenz statt mit dem Titel: „Donor Conception: an unfamiliar path to a normal family“, veranstaltet von der universitären Forschungsgruppe um den belgischen Bioethiker Guido Pennings. Diese Gruppe ist bekannt dafür, dass Artikel und Bücher aus ihren Reihen („Reproductive Donation“, „Relatedness in Assisted Reproduction“) weiterführende Gedanken im Bereich der ethischen Debatte um assistierte Reproduktion liefern. Die belgische Gruppe kooperiert im Rahmen eines Forschungsverbundes mit anderen Wissenschaftlern aus Deutschland, England, Schweden, den Niederlanden und den USA, die auf der Konferenz ebenfalls ihre aktuellen Studien präsentierten. Die dreitägige Konferenz bot – sehr ambitioniert – knapp dreißig Vorträge und hatte etwa siebzig Teilnehmer.
In doppelter Hinsicht ein vielversprechendes Ereignis:
Erstens ging es nicht wie sonst oft auf entsprechenden Tagungen um Themen aus der reproduktionsmedizinischen Kinderwunschbehandlung – zeitlich also um eine Phase, bevor die Familie existiert. Ebenso wenig standen – wie sonst oft – juristische Fragestellungen im Zentrum. Vielmehr lag das Interesse diesmal auf den bereits entstandenen Familien. Ihre Familienstruktur, ihre Familienbeziehungen, und vor allem wie Familienmitglieder ihre Familie, die Gametenspende, die Spender, die jeweiligen Rollen selbst verstehen und miteinander kommunizieren.
Die zweite Besonderheit war ein echtes Highlight: Vertreter aus der euopäischen Community der Eltern und Familien nach Gametenspende haben die Tagung für ein gemeinsames Treffen genutzt. So waren Elternvertreter aus Großbritannien (Donor Conception Network), Österreich, Belgien (Donor families) und Deutschland (DI-Netz) angereist, um einander persönlich kennenzulernen und um weitere gemeinsame Pläne zu schmieden.Europäische Elternvertreter in Gent (Belgien)
Wir haben unsere persönliche Perspektive auch bei der Tagung einbringen können; bedauerlich war allerdings, dass die Organisatoren selbst nicht schon im Vorfeld Betroffenensprecher – Mütter, Väter, Kinder oder Spender – als Redner eingeladen hatten.
Zum Verlauf der Tagung
Typische Themen waren immer wieder: Aufklärung ja-nein, Anonymität des Spenders ja-nein, Mitspracherecht bei der Spenderauswahl ja-nein, direktive oder non-direktive Beratung etc.. Und verschiedene Konstellationen wurden durchdekliniert: so reichten die Inhalte von Spezifika in Familien lesbischer Mütter über Gametenspende mit persönlich bekannten Spendern (Known Donors), Adoption, Embryonenspende und Leihmutterschaft bis hin zum Elternwerden bei Transsexualität. Besonders viel Raum bekam, wie die Familie die Gametenspende sprachlich thematisert oder nicht thematisert, wie sie ihre Wirklichkeit ko-konstruiert und sich Ansichten im Laufe der Zeit flexibel und je nach Kontext ändern. Die Analyse verlief meist entlang der eigenen Studien der Vortragenden oder zitierter qualitativer Studien. Es gab jede Menge ausführliche O-Ton-Zitate der Probanden aus den Studien. Die Stichprobenzahl der Studien war dabei meist ausgesprochen gering.
So gab es thematisch viel Input, von dem man allerdings auch schon einiges aus der Fachliteratur kennen konnte. Man mußte sich immer mal wieder fragen, was in den vielen Einzelbeiträgen eigentlich substantiell Neues enthalten war. Wenn thematisch auch nicht immer ganz weltbewegende Theorie, war es in jedem Fall eine lohnende Erfahrung, manche Autoren, die man aus der Literatur kennt, hier vor Ort persönlich ansprechen und miteinander ins Gespräch kommen zu können. So konnte ich mit einigen kurz reden und sehr interessante Diskussionen führen: zum Beispiel mit Veerle Provoost, Katharina Beier, Patricia Baetens, Lucy Frith, Petra Nordqvist und Ole Schou.
Die Zeit für allgemeine Diskussion war kurz, so dass im gemeinsamen Plenum Vieles nicht in die Tiefe diskutiert oder gar zu Ende geklärt werden konnte, sondern allenfalls angerissen. Einige – auch politisch – spannende Aspekte wurden manchmal erst im persönlichen Dialog in den Pausen oder im Plenum schnell noch kurz vor Ende des Tages oder schließlich ganz am Ende der Tagung thematisiert (z.B. das Spannungsverhältnis sozialer und biologischer Elternschaft oder die politische Diskussion um die längst fällige Abschaffung der Anonymität in Belgien).
Besonders beeindruckt hat mich in Gent das Zusammensein mit den Vertretern und Vertreterinnen aus den anderen Betroffenenorganisationen. Wir aßen am ersten Abend gemeinsam zu abend und es zeigte sich bei allen ein großer Bedarf, die Erfahrungen aus den jeweiligen Netzwerken auszutauschen. Wir sprachen darüber, wie sich das Donor Conception Network im Laufe der letzten zwanzig Jahre so erfolgreich entwickeln konnte, die belgische Gruppe berichtete von ihren Erfahrungen mit den Widerständen gegen die Abschaffung der Anonymität, und ich berichtete von der rasanten Entwicklung in Deutschland seit unserer Vereinsgründung und besonders im Jahr 2015.
Bei den Plenumsdiskussionen der Konferenz meldeten sich einige von uns mehrfach zu Wort. Ebenso zwei Frauen aus den beiden belgischen Organisationen für erwachsene Menschen aus Samenspende „Donorkind“ und „Donorkinderen„. Dies belebte, wie ich fand, nicht nur die akademische Vortragsroutine, es brachte auch etwas mehr Realitätsbezug und vielleicht erst den emotionalen Gehalt des Themas in den Raum.
Andere Länder, andere Sitten
In Belgien gibt es eine lebenslange Anonymität der Spender, die streng vorgegeben ist. Den Kliniken ist es untersagt, das Angebot identifizierbarer Spender zu machen. Die Reserviertheit in Belgien gegenüber dem möglichen Interesse des Kindes an der Kenntnis der Abstammung war während der Tagung insbesondere von Seiten der Organisatoren deutlich zu spüren (1,)(2) Zugleich zeigte sich der liberale und selbstverständliche Umgang mit solchen reproduktionsmedizinischen Techniken, die in Deutschland verboten sind. So wurde in keinem der dortigen Vorträge die ethische Zulässigkeit der Samen-, Eizell- oder Embryonenspende irgendwie infrage gestellt. Manche äußerten Verwunderung, als ich ihnen davon berichtete, dass beispielsweise die Eizellspende in Deutschland verboten ist. Eine interessante Erfahrung war es zudem für mich – und so ging es offenbar auch einer anderen deutschen Teilnehmerin –, nach dem Zeitpunkt der Abschaffung der Anonymität in Deutschland gefragt zu werden. Sollte man antworten: seit 1989 (BVErfG), oder seit 2007 (TPG) oder in praxi noch gar nicht wirklich? Um die deutsche Situation zu beschreiben, muss man weit ausholen und differenzieren zwischen allgemeinem Kenntnisrecht unserer Kinder, Dokumentationspraktiken der Ärzte, realen Auskunftschancen und -erfolgen, je nach Alter des Kindes, Wahl der Samenbank, Prozessierfreudigkeit…sowas soll im Ausland mal jemand verstehen.
— Eine weitere, sehr schöne Zusammenfassung der Inhalte der Tagung findet sich auf der englischen Webseite von Olivia Montuschi . Olivia ist Mitbegründerin des Donor Conception Networks und Ehrenmitglied im deutschen DI-Netz.