Vater 55

Erfahrungsbericht über unsere Familienwerdung, Frühjahr 2020

von einem , Vater 55, Tochter 12

1989 wurden wir ein Paar und gemeinsamer Nachwuchs war lange Zeit kein Thema in unserer Beziehung. Erst um das Jahr 2000 herum entstand bei uns beiden etwa zur gleichen Zeit ein gemeinsamer Kinderwunsch. Wir versuchten es zwei Jahre vergeblich und so kamen dann doch Zweifel auf, ob nicht vielleicht ein medizinisches Problem vorliegen könnte. Für mich stellte sich dann völlig überraschend eine Azoospermie heraus, deren Ursache nicht aufgeklärt werden konnte. Letztendlich traf mich die Diagnose unvorbereitet, wo ich doch in dem Gefühl lebte, kerngesund und voll belastbar zu sein: „An mir kann es nicht liegen“ war eine meiner Selbstgewissheiten. Schon in meiner Jugendzeit gab es zwar mal die Grundhaltung, ich will kein Vater werden! Nun aber, als mir jegliche Chance, biologisch Vater zu werden verwehrt war, überkam mich eine heftige Trauer und eine tiefe Verunsicherung in meinem Mannsein. Aber es ging ja nicht nur um mich, es war auch ein Schock für uns als Paar, weil unsere Lebensplanung in Frage gestellt war.

Die Versorgung durch verschiedene Urologen wäre vielleicht noch einen eigenen Bericht wert. Ich fühlte mich dort nicht gut begleitet und es mangelte an Feingefühl. Ich war bei mehreren Urologen, auch für eine Zweitmeinung, und es erschien mir fast so, als würden die Fachleute gerne über die emotionalen Konsequenzen einer Azoospermie hinweggehen, was mir selbst nicht möglich war. Die für uns so einschneidende Diagnose wurde mir damals eher beiläufig übermittelt und als Patient fühlte ich mich in meiner Ohnmacht allein gelassen. Der Arzt dagegen demonstrierte seine Handlungsfähigkeit mit schnellen Vorschlägen. So folgten zwei Hodenbiopsien. Da es bei der ersten TESE Hinweise auf mögliche funktionstüchtige Spermien gab, folgte 2003 noch eine zweite TESE. Diese brachte nichts Neues. Es war umso frustrierender, da meine Frau – letztendlich völlig unnötig -bereits mit Hormonen stimuliert wurde, um nach einem Spermienfund eine In-Vitro-Fertilisation durchführen zu können. Die danach noch folgende Vorstellung bei einem bekannten Fachexperten in Hamburg brachte auch keine erhoffte Wendung. Wenigstens hatten wir nun die Gewissheit, dass wir auf natürlichem Wege kein gemeinsames Kind bekommen können.

Es war für uns ein sehr schmerzliches Gefühl, erkennen zu müssen, dass es nicht mehr allein in unserer Macht war, eine Familie zu gründen und dass wir auf Hilfe angewiesen waren. Das allein war schon eine Kränkung und es brauchte noch so etwas wie gemeinsame Trauerarbeit, durch viele Gespräche, um uns von diesem gemeinsamen „Projekt“ verabschieden zu können. Für mich als Mann war es nicht leicht, quasi unverschuldet die Familiengründung auszubremsen. War ich nicht für das Leiden meiner Partnerin verantwortlich? Stand damit vielleicht auch die Partnerschaft zur Disposition? Es war für meine Frau und mich keine einfache Zeit und in Dauerdiskussionen versuchten wir zu klären, ob und wie es gemeinsam weitergehen könnte. Schließlich stand jedoch der Entschluss fest, dass wir weiterhin gemeinsam einen Weg finden wollten, eine Familie mit Kindern zu gründen. Dafür bin ich meiner Frau immer noch sehr dankbar. Wir mussten uns einige neue Gedanken machen und uns neu orientieren. Wir schauten in alle Richtungen, um Wege oder Auswege aus unserem Dilemma zu finden. Wenn schon kein einfacher Weg möglich war, dann wenigstens Umwege.

In dieser Phase der Neuorientierung erlaubten wir uns, alle Optionen durchzudenken, auch solche, die wir als Nicht-Betroffene wohl kaum in Betracht gezogen hätten. Pflegeeltern zu werden oder zu adoptieren waren dabei noch die konventionellsten Gedankenspiele. In unsere Überlegungen weihten wir nur ganz wenige Freunde ein. Auf der anderen Seite hatten wir jedoch meine Familie früh über unsere grundsätzliche Situation informiert, sie sind ja irgendwie Mitbetroffene. Die Familie meiner Frau informierten wir erst in der Schwangerschaft.

Viele Alternativen schlossen sich aus, da der Wunsch, gemeinsam eine Schwangerschaft zu durchleben, für uns zu einer Voraussetzung für eine gute Lösung wurde. Adoptiv- und Pflegeelternschaft kannten wir aus unseren beruflichen Tätigkeiten und hielten diese Wege für uns nicht als passend. Wir glaubten, dass eine Schwangerschaft uns dabei helfen könnte, leichter in die Elternrolle hineinzuwachsen. Auch lag uns an der genetischen Verwandtschaft des Kindes zu meiner Frau. Die gemeinsame Erfahrung der Schwangerschaft erschien uns wichtig für die Bindung zwischen Mutter und Kind, aber auch für die werdende Familie, den werdenden Papa, die werdende Mama und das werdende Kind.

Als wir zum ersten Mal über die Familiengründung mit Hilfe einer Samenspende nachdachten war uns das hochgradig suspekt und das blieb noch sehr lange so! Schwanger zu werden durch einen Fremden war für meine Frau – aber auch für mich – abschreckend und der Gedanke daran war ziemlich gewöhnungsbedürftig, selbst wenn dieser Weg unser Kriterium „Schwangerschaft“ erfüllte. Ich fragte mich, „ob auf diesem Weg wirklich eine Bindung zwischen mir und dem Kind aufgebaut werden könnte?“. Meine Frau und ich sprachen viel miteinander, und auch mit unseren vertrauten Freunden und Freundinnen, die zum Teil kritische Haltungen dazu äußerten. Eine meinte, es ginge doch auch ohne Kind, eine andere meinte, wir täten dem späteren Kind womöglich etwas damit an. Doch war es nach allem Hin und Her für uns der einzig mögliche Weg. Entweder würden wir unsere inneren Widerstände auflösen können oder wir müssen vom Projekt Elternschaft Abschied nehmen. Zu dieser Zeit hatten wir unterschiedliche Geschwindigkeiten uns mit der Idee der Samenspende anzufreunden. Ich konnte mich schneller darauf einlassen als meine Frau, es schien mir mehr und mehr der richtige Weg zu sein. 2005 nahmen wir eine Beratung und besuchten 2006 ein Vorbereitungsseminar zum Thema „Familiengründung mit Samenspende“. Die Hilfestellung dort fühlte sich nicht wie eine plötzliche Bekehrung an, aber es war ein guter Schritt sich auf die Familiengründung mit Hilfe einer Samenspende einzulassen.

Wir wollten jetzt so viel wie möglich richtig machen. Wir wollten wieder Handelnde sein und das bedeutete auch uns mit möglichen Fallstricken auseinanderzusetzen. Besonders wichtig war es uns, mögliche Problemstellungen auszuschließen, wie wir sie in der Literatur und auch in den Erfahrungsberichten von anderen lesen konnten. Daher war von Anfang an klar, dass wir einen offenen Umgang (frühe Aufklärung) leben wollten. Es sollte nicht passieren, dass durch Geheimhaltung unser Familienleben belastet würde. Auch zu all den Ängsten bezüglich möglicher Störungen im Verhältnis von Vater und Kind oder einer möglichen Störung in der Identitätsentwicklung des Kindes mussten wir eine Haltung finden. Am Ende dieses Klärungsprozesses war uns klar, dass wir unserem Kind und unserer Familie zwar ein Thema mitgeben würden, das damit eventuell einhergehende Risiko schien uns aber als eine bewältigbare Entwicklungsaufgabe, für alle drei. Wie andere Eltern auch, haben wir nach bestem Wissen und Gewissen die Vor- und Nachteile abgewogen und eine Entscheidung für die ganze Familie getroffen.

Im Ganzen benötigten wir bis zur Entscheidung für die Nutzung einer Samenspende um die vier Jahre. Ein wichtiger Schritt war zwischenzeitlich noch die Auswahl der Samenbank. Wir wollten unbedingt sicherstellen, dass unser Kind Informationen über den Samenspender erhalten kann. Abgesehen von seiner Rolle bei der Zeugung sahen wir im Samenspender keine Person, die in der frühen Familienphase eine größere Rolle zu spielen hat, aber wir wollten als Eltern alles dafür tun, dass unser Kind sein Informationsbedürfnis zu einem späteren Zeitpunkt befriedigen kann.

Wir fanden eine Kinderwunschpraxis in unserer Stadt, die bereit war mit der von uns ausgewählten Samenbank zu kooperieren. Die Wahl des Samenspenders verlief gestaffelt: Die Samenbank stellte uns eine Auswahl von fünf Samenspendern zur Verfügung. Man konnte sich dann aufgrund weniger Rumpfinformationen (z.B. Körpergröße, Augenfarbe, Beruf) für ein Profil entscheiden. Uns war es wichtig, ein Mitspracherecht zu haben, nicht weil wir unser Kind designen wollten, sondern weil wir es als das Recht (vor allem) meiner Frau ansahen, zu entscheiden, mit wessen Hilfe wir ein Kind zeugen. Wir wollten uns als Handelnde erleben, obwohl uns klar war, dass unser Einfluss doch recht gering ist. Wir entschieden nach sehr subjektiven und persönlichen Gründen, es waren die Fantasien zu den vorliegenden Profilen, die unsere Wahl entschied. Wir wollten, dass der Spender zur Familie passt.

Da aufgrund einer Diagnose bei meiner Frau nur eine In-Vitro-Fertilisation mit dem Spendersamen in Frage kam, war es damals noch nötig, die Zustimmung der Ethikkommission der Ärztekammer einzuholen. Gleich beim ersten Versuch Ende 2006 wurde meine Frau schwanger und 2007 wurde dann unsere Tochter geboren.

Nach der Geburt unserer Tochter stellte sich nicht mehr die Frage eines zweiten Kindes. Ein weiterer Kinderwunsch war nicht mehr gegeben und als „späte“ Eltern schlossen wir unsere Familienplanung mit dem guten Gefühl ab, dass unsere Familie vollständig ist. Seit der Geburt unserer Tochter unterschied sich unser Familienleben im Alltag wohl selten von dem Familienleben anderer. Wir haben bisher auch nie irgendeine negative Erfahrung aufgrund unseres besonderen Weges gemacht. Es ist immer wieder überraschend, dass doch viele Menschen schon entweder selbst oder über gute Freunde mit der Reproduktionsmedizin zu tun hatten.

Die Aufklärung unseres Kindes begann übrigens schon auf dem Wickeltisch, was jedoch hauptsächlich für uns als Eltern eine wichtige Übung und sehr aufregend war. Uns war klar, dass eine Aufklärung ein kontinuierlicher Prozess ist, der nicht mit einem Mal abgeschlossen ist. Es hat für unsere Tochter nie einen Moment gegeben, bei dem sie die besonderen Umstände ihrer Zeugung nicht gewusst hätte, jedoch verändert sich das Verständnis dessen mit zunehmendem Alter. Wir bleiben mit ihr im Gespräch darüber.

Mittlerweile obliegt es immer mehr ihrer Verantwortung, mit wem und wieviel sie über ihre Herkunft bei anderen Menschen erzählen will. Das war in der frühen Kindheit naturgemäß allein eine Entscheidung von uns Eltern. Nach unserem Gefühl gibt es keinen Skandal mehr wegen unserer Art der Familiengründung, sie ist ein selbstverständlicher Teil unserer Familiengeschichte. Alle Befürchtungen, die wir zu Anfang hatten, sind nicht eingetreten. Es hat sich nie falsch angefühlt und auch nie so, als würde uns etwas fehlen. Wir sind alle drei zufrieden und stolz auf uns als Familie. Für mich fühlt sich unser Weg richtig an!

Unsere Erfahrungen wollten wir gern mit anderen Betroffenen teilen. Schon in der Phase der Orientierung und Entscheidungsfindung war klar, dass wir uns vernetzen wollen, weil dieser besondere Weg leichter als ein normaler Weg angesehen werden kann, wenn wir ihn nicht allein gehen. So haben wir uns früh mit anderen Familien vernetzt und treffen uns mittlerweile seit über zehn Jahren jährlich für mehrere Tage mit ihnen in einer Jugendherberge; und das ist immer schön und kostbar für uns….

Wir haben den Verein DI-Netz mitgegründet, der sich für das Ziel einer größeren Akzeptanz der Familiengründung nach Samenspende in der Gesellschaft engagiert und eine Vernetzung von betroffenen Familien vorantreibt. Wir wollen dazu beitragen, dass die Entscheidung für eine Familiengründung mit Hilfe einer Samenspende nicht durch Unwissen und falsche Vorstellungen in der Gesellschaft erschwert wird.

zurück zur Übersicht „Erfahrungsberichte“