Die oben stehenden Namen sind nicht unsere echten, aber wir nennen uns hier so, weil es bereits im Jahr 2013 einen Zeitungsbericht über unsere Familie gab: https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/kinder-von-samenspendern-entscheidung-fuer-die-wahrheit-li.75243
Als wir uns 1997 für die Entgegennahme einer Samenspende entschieden haben, weil mein Mann das Klinefelter Syndrom hat und somit aufgrund seiner speziellen Genetik keine Kinder zeugen kann, da war es in Deutschland kaum möglich, Informationen dazu zu bekommen. Mein Gynäkologe war der Auffassung, das wäre verboten und wir hatten damals noch kein Internet für eigene Recherchen. Nur durch einen Zufall erfuhren wir nach monatelangem Suchen eine Adresse in Berlin, unserer Heimatstadt. Nach vier erfolglosen Inseminationen mussten wir zur donogenen IVF wechseln, weil festgestellt wurde, dass meine Eileiter fast dicht sind. 1998 brauchte man dafür die Zustimmung der Berliner Ärztekammer.
Wir erinnern uns noch heute an eine psychisch sehr angespannte Zeit, denn es kamen mehrere belastende Faktoren zusammen:
1. zahlreiche Arztbesuche, anfangs noch in der Hoffnung, dass diese zu einem genetisch gemeinsamen Kind führen würden,
2. die Trauer um das genetisch gemeinsame Kind – es fühlte sich wirklich so an, als ob ein naher Angehöriger gestorben wäre,
3. die Ungewissheit, ob wir jemals Eltern werden würden,
4. der Glaube, etwas in Deutschland Verbotenes zu tun,
5. die immer wiederkehrenden negativen Versuche, schwanger zu werden,
6. die hohen Kosten und die Ungewissheit, ob das Geld reicht,
7. das Empfinden, dass wir mit unserer Art der Familiengründung wohl vom Gesetzgeber und von vielen Menschen in unserem Land als Familien zweiter Klasse betrachtet werden,
8. die fehlenden Austauschmöglichkeiten mit anderen Familien, die sich so gegründet haben, aber auch die Geheimhaltung gegenüber unserer Familie und gegenüber unseren Freunden.
9. Dass wir später von einer Ethikkommission eine Genehmigung für unsere Familiengründung einholen mussten, empfanden wir als Eingriff in unsere Fortpflanzungsfreiheit, denn es hätte ja auch sein können, dass wir keine Genehmigung erhalten.
Wie und warum haben wir uns für diesen Weg entschieden? – Zu unserer Entscheidung führte ein mehrmonatiger Prozess der Erkenntnis. Mein Mann musste zweimal Spermiogramme erstellen lassen. Gleich das erste zeigte keine lebenden Spermien. Daher musste das Spermiogramm wiederholt werden. Bis wir den endgültigen Bescheid bekamen, dass mein Mann keine Kinder zeugen kann, vergingen Monate. In der Zeit mussten wir uns neben der Trauer an den Gedanken gewöhnen, dass es vielleicht kein gemeinsames Kind geben wird. – Ich hatte vor längerer Zeit einen Bericht im Fernsehen gesehen, bei dem über die Möglichkeit der Samenspende berichtet wurde. Allerdings erinnerte ich mich nur dunkel daran. Dass ich aufgrund der Unfruchtbarkeit meines Mannes nicht Mutter werden sollte, wollte ich nicht akzeptieren. Wenn nun unser gemeinsames Kind gestorben war, warum sollte zusätzlich auch mein Kind sterben, das in meiner Phantasie immer mehr Gestalt annahm? Mein Kind, das doch bestimmt auch etwas Gemeinsames mit mir hätte? Bisher habe ich bei allen Unwägbarkeiten im Leben einen Ausweg gefunden und suchte auch dieses Mal danach. Nachdem auch das zweite Spermiogramm negativ war, wollte ich meinem Mann meine Idee, ein Kind mittels Samenspende zu bekommen, mitteilen. Das war aber nicht so einfach, da ich nicht wusste, ob er sich vielleicht gekränkt fühlen wird. Es dauerte ca. zwei Wochen, bis ich den Mut dazu fand. Zuerst musste mein Mann darüber nachdenken, ob er sich den Weg der Samenspende vorstellen könnte. Dafür brauchte er einen ganzen Tag. – Mein Mann hat sich jedoch schon immer sehr stark Kinder gewünscht. Deshalb fand er den Gedanken daran, über diesen Umweg doch noch Vater zu werden, sehr schnell schön.
Wir haben auch darüber gesprochen, ob wir ein Kind adoptieren oder ein Pflegekind annehmen wollten. Den Gedanken haben wir allerdings schnell verworfen. Wir sahen uns dieser Aufgabe nicht gewachsen. Außerdem wollten wir selbst die Schwangerschaft und Geburt erleben, ich wollte gerne stillen. Unser Kind sollte wenigstens von mir abstammen. Das Kind, das in unseren Träumen bereits da war, sollte kein vollständig anderes Kind werden, es sollte so weit wie möglich von uns kommen.
Von der Diagnose „Unfruchtbarkeit“ bis zur gemeinsamen Entscheidung für die Samenspende dauerte es bei uns insgesamt zwei Wochen. Bis wir damit starten konnten, vergingen aber noch vier Monate. Es musste zuerst ein Arzt gefunden werden und das war zu der Zeit nicht so einfach. Vom Beginn der Behandlung bis zur erfolgreichen Schwangerschaft dauerte es noch fast ein Jahr. Wir hatten 4 erfolglose donogene Inseminationen, einen abgebrochenen Versuch, eine erfolglose donogene IVF. Erst bei der zweiten donogenen IVF entstand unser Kind.
Wir konnten uns den Spender nicht – so, wie es heute üblich ist – aussuchen. 1998 und auch noch 2002 wurde der Spender vom Arzt ausgesucht. Die Entscheidungskriterien waren die Blutgruppe, die Haar- und Augenfarbe und vielleicht noch die Körpergröße. Auch wurde danach geschaut, dass der Spender in seinem Aussehen zu uns passt. Nach persönlichen Charaktereigenschaften des Spenders ging es damals nicht. – Trotzdem sind wir der Auffassung, dass unsere Spender sehr gut gewählt wurden. Denn unsere Kinder passen wunderbar zu uns. Niemand ist bisher auf die Idee gekommen, dass mein Mann unsere Kinder nicht gezeugt haben könnte. Und niemals hatten wir das Gefühl, dass unsere Kinder „fremd“ wären.
Wir bekamen zwei Söhne, die inzwischen (fast) erwachsen sind. Wir haben es nie bereut, diesen Weg gegangen zu sein. Unsere Söhne sind genau die Kinder, die wir uns gewünscht haben. Es ist das Schönste, dass wir ihre Eltern sein dürfen.
Zuerst hatten wir uns dafür entschieden, unseren Kindern nie zu erzählen, dass sie mithilfe einer Samenspende entstanden sind. Wir glaubten, dass das das Beste für unsere Kinder wäre. Da ich bereits seit der reproduktionsmedizinischen Behandlung für das zweite Kind sehr intensiv im Kinderwunschforum „Heterologe Insemination“ bei www.wunschkinder.net gelesen habe und mich dort bereits mit anderen Menschen in ähnlicher Situation austauschen konnte, habe ich erfahren, dass unsere Entscheidung zur Geheimhaltung falsch war. Für ein Kind, das mithilfe einer Samenspende entstanden ist, ist es immer besser, früh darüber aufgeklärt zu werden. Sonst entsteht ein Vertrauensbruch. Auch mehrere Literaturquellen bestätigten diese Aussage. Nachdem ich darüber mit meinem Mann gesprochen hatte und wir uns gemeinsam einen Film angeschaut hatten, in dem ein junger Mann darüber berichtete, wie beiläufig er bereits als jüngeres Kind davon erfahren hat und wie unbesorgt er mit seiner Zeugungsart umgeht, war auch mein Mann davon überzeugt, dass unsere Kinder früh von der Samenspende erfahren sollen.
Über die Samenspende aufgeklärt haben wir unsere Söhne mit 8 bzw. 7 Jahren. Das war viel einfacher und unspektakulärer als wir es vorher befürchtet haben.
Wie gehen unsere Söhne heute mit der Tatsache um, aufgrund einer Samenspende entstanden zu sein?
Jannik möchte nicht immer wieder damit konfrontiert werden. Wir sind seine Eltern und das reicht ihm. Er möchte auch nicht, dass es seine Freunde und weiteren Bekannten erfahren. Er sagt, das geht sie nichts an. Vielleicht möchte er mal ein Unternehmen gründen oder in die Politik gehen. Dann möchte er keine Klatschnachrichten dieser Art lesen, sagt er. Für den Samenspender oder für Halbgeschwister interessiert er sich nicht. Er würde die Spenderdaten gerne löschen lassen.
Paul sieht das hingegen entspannter. Nach seiner Meinung dürften alle darüber Bescheid wissen, wie er entstanden ist. Er hat auch schon zwei Freunden davon erzählt, die sich allerdings nicht so sehr dafür interessiert haben. Wir haben ihm vor ca. zwei Jahren gesagt, dass er, wenn er wissen möchte, wer der Spender ist, die Möglichkeit hat, das zu erfahren. Auch wenn er Halbgeschwister kennenlernen möchte, lassen sich vielleicht einige von ihnen finden. Er fand das für ein paar Minuten interessant, hat aber bisher nicht danach gefragt.