DI-Netz e.V. hat die Gelegenheit, auf der
Veranstaltung der FDP mit dem Titel:
„Auf dem Weg zu moderner Fortpflanzungsmedizin“ einen Vortrag
zum o.g. Thema zu halten, gern wahrgenommen.
Für alle Interessierten veröffentlichen
wir hier den Inhalt unseres Vortrages, der sich nicht nur auf das Thema
Familiengründung mit Spendersamen, sondern generell auf die Familiengründung
mittels Reproduktionsmedizin bezieht.
Was haben folgende Menschen
gemeinsam?
der 25jährige, der als Jugendlicher eine Leukämie hatte, der 28jährige nach Hodenkrebs, der 32jährige mit dem Klinefelter Syndrom, die alleinstehende 35-Jährige, das lesbische Paar, die Verkäuferin, deren Mann nur wenige Spermien produziert, das seit 7 Jahren zusammen lebende unverheiratete Paar?
Sie alle werden die medizinische
Hilfe, die sie zur Erfüllung ihres Kinderwunsches benötigen, aus eigener Tasche
finanzieren müssen.
DI-Netz e.V. setzt sich für
die Belange von Familien ein, die mit Hilfe einer Samenspende ihre Kinder
gezeugt haben.
Zu diesen Belangen gehört
auch das Bemühen, eine unzeitgemäße Ungleichbehandlung bei der
Kostenübernahme reproduktionsmedizinischer Behandlungen zu beenden. Und
zwar weil:
- es gesellschaftspolitisch nicht auf der Höhe der Zeit ist
- im Kern eine Diskriminierung darstellt.
Bestimmte Altersgruppen werden erst seit der Gesundheitsreform 2004 von der Kostenübernahme ausgeschlossen. – Besondere Familienformen wurden auch vorher schon nicht unterstützt. Das wurde von Politikern gern ohne weitere Erläuterung mit einem „besonderen Schutz der Familie“ begründet und damit, dass die Samenspende nicht gesetzlich geregelt wäre. Seit 2018 entfällt dieser Grund. Wir haben nun ein Samenspenderregistergesetz. Jetzt heißt es, wir benötigen erstmal ein Fortpflanzungsmedizingesetz.
Oft werden fadenscheinige Argumente genannt. Es
dient aber dem Kindeswohl, wenn Familien, die nicht dem traditionellen Familienmodell
entsprechen, nicht benachteiligt werden. Auch sind die Erfolgsquoten nicht
so gering. Wir haben nach der 6.IVF eine kumulative Geburtenrate von über 72%.
Auch das Argument, es würde keine medizinische Indikation vorliegen, trifft
häufig nicht zu.
Welche Konsequenzen hat die bisher
verweigerte Kostenübernahme? – Einige Paare nehmen einen Kredit auf, andere
sparen eisern und verschieben die Behandlung auf später. Dann sind sie älter,
vielleicht schon 40. Für den schnellen Erfolg werden oft
Mehrlingsschwangerschaften riskiert. Die Paare gehen ins Ausland, um
kostengünstig alle Embryonen zu kultivieren. Auch für anonyme Gametenspenden
gehen die intendierten Eltern ins Ausland.
Welche
finanziellen Belastungen entstehen
z.B. für eine IVF mit 4 Behandlungszyklen? Ein Zyklus incl. Medikamente kostet
von der GKV bezahlt lt. EBM rund 3.000 €. Laut GOÄ kostet er für
Privatpatienten rund 6.000 €. Dann würde das verheiratete Paar 11.250 €
bezahlen, das unverheiratete 18.000 € und das Ehepaar, das eine IVF mit
Spendersamen durchführen lässt, 24.000 € zuzüglich von Kosten für die Samenbank
im vierstelligen Bereich.
Annahme:
(1) Ein
Behandlungszyklus mit IVF wird lt. EBM mit 3.000 € und lt. GOÄ mit 6.000 €
abgerechnet.
(aktuelle GOÄ-Kosten der IVF: 4.000 € – 6.000 €/ ICSI: 4.500 € – 8.000 €)
(2) Es werden 4
Behandlungszyklen bis zum Erfolg benötigt.
Kosten für Ehepaar
(A)
(3.000 € + 3.000 € +
3.000 € + 6.000 € ) * 75%1 = 11.250 €
Kosten für das
unverheiratete Paar (B)
(6.000 € + 6.000 € +
6.000 € + 6.000 € ) * 75%1 = 18.000 €
Kosten der IVF bei
Befruchtung mit Samenspende, Ehepaar (C)
4* 6.000 € = 24.000 € ( + Kosten für die Samenbank)
1 – die 75% gelten nur
bei 25% finanzieller Unterstützung durch das Bundesland
Was kostet das die GKV? Aktuell zahlt diese
jährlich 59 Mio. Euro. – Würden alle im D.I.R. erfassten Frischzyklen mit IVF
oder ICSI für alle GKV-Versicherten finanziert werden, kämen wir auf Kosten von
gut 200 Mio. € für die GKV. – Die Familiengründung mit Samenspende würde ungefähr
Kosten von 2,5 Mio. Euro verursachen.
Im europäischen Ausland ist
man da weiter. Es sollte eine Angleichung an unsere Nachbarländer stattfinden.
- GB: KÜ durch staatlichen National Health Service für
Frauen (-39 J.) 3 IVF/ (-42 J.) 1 IVF, auch in lesbischer Partnerschaft
- Dänemark: 90 – 100% KÜ für Frauen (-40 J.), auch single oder in
lesbischer Partnerschaft, bis zur 1. Geburt; 6 Inseminationen, 3 IVF
- Schweden: 90 – 100% KÜ für Frauen (37-40 J.), auch single oder
in lesbischer Partnerschaft, bis zur 1. Geburt; 6 Inseminationen, 3 IVF
- Finnland: 90 – 100% KÜ für Frauen (-43 J.), nur Hetero Paare,
bis zur 2. Geburt; 4 IVF
- Norwegen: 90 – 100% KÜ für Frauen (-45 J.), auch in lesbischer
Partnerschaft, keine Limitierung der Geburtenzahl; 3 Inseminationen, 4 IVF
- Österreich: 70% KÜ für Frauen (-40 J.), auch in lesbischer
Partnerschaft, 4 IVF (IVF-Fonds)
- Frankreich: aktuelle Debatte (2019) um neues Bioethik-Gesetz und
assistierte Befruchtungen für alle Frauen incl. KÜ (-43 J.), auch single oder
in lesbischer Partnerschaft, bis zu 6 IVF
- Belgien: KÜ für Laborleistungen + Hormonpräparate, Frauen (-42
J.), auch single oder in lesbischer Partnerschaft; 6 Behandlungszyklen
Was
empfehlen wir? – Zuerst sollten alle
Familienformen berücksichtigt werden. Im nächsten Schritt sollte die
Eigenbeteiligung herabgesetzt werden und die Anzahl der finanzierten Versuche
erhöht.
Wir
empfehlen eine vollständige Kostenübernahme durch die GKV mindestens bei
Vorliegen einer medizinischen Indikation und bei hinreichender Erfolgsaussicht.
Man kann auch über alternative Finanzierungen, z.B. über staatliche Fonds oder
über freiwillige Satzungsleistungen bei der GKV nachdenken. Vielleicht könnte
man 5 IVF/ICSI bezahlen, weil bis dahin die Erfolgsaussichten noch besonders
ansteigen.
Finanzierungen
sollte es auch geben für die Kryokonservierung, vorbeugende Gesundheitsdienste
zum Erhalt der Fruchtbarkeit, eine gründliche Diagnostik vor Beginn jeder
Behandlung, die psychosoziale Beratung sowie die medizinische und psychosoziale
Forschung.
Quellen:
- Ärzteblatt
(24.07.2019): Frankreich will künstliche Befruchtung für alle Frauen öffnen
- Bundesministerium für
Gesundheit und Frauen, Österreich (2017): Wir möchten ein Baby – Information
über Kostenübernahme für medizinisch unterstützte Fortpflanzung durch den
IVF-Fonds
- Deutsches
IVF-Register 2017, S. 12, Kumulierte Schwangerschaftsraten (%)
- Deutsches
IVF-Register 2017, S. 34, Schwangerschaftsraten und Schwangerschaftsverläufe in
Abhängigkeit vom Alter der Frau 2016
- Deutsches
IVF-Register 2011, S. 27, Gesamtschwangerschaftswahrscheinlichkeit pro Frau
- Europäisches Zentrum
für parlamentarische Forschung und Dokumentation, EZPWD (2016): Spotlight on
Parliaments in Europe, No.12 – 09.2016
- Freie Krankenkasse
Belgien, 2019, https://www.freie.be/de/Ratgeber-Gesundheit/Gesundheit-bei-Schwangerschaft/Kuenstliche-Befruchtung
- Geiser, T (2009):
Kind und Recht – von der sozialen zur genetischen Vaterschaft? FamPra.ch, 1, S. 41-59
- Golombok, S. (2015): Modern Families. Parents and Children in New Family
Forms. Cambridge:
Cambridge University Press.
- Journal für
Reproduktionsmedizin und Endokrinologie 2011; 8(4)10
- Möllers, H. (2019):
Kinderland Schweden? – Regulierung, Zugang und Debatten zur medizinisch
assistierten Reproduktion in Schweden und den nordischen Ländern
(Herausgeberin: Friedrich-Ebert-Stiftung)
- Rupp, M. (Hrsg.)
(2009): Die Lebenssituation von Kindern in gleichgeschlechtlichen
Lebenspartnerschaften. Köln: Bundesanzeiger Verlag
- Simoni, H. (2012):
Sozialwissenschaftliche Grundlagen zu den Konzepten „Kindeswohl, Familie und
Elternschaft“ im Fortpflanzungsmedizingesetz (Auftraggeber: schweizerisches
Bundesamt für Gesundheit/ Auftragnehmer: Marie Meierhofer Institut für das
Kind)
- Stellungnahme
Leopoldinia (2019): Fortpflanzungsmedizin in Deutschland – für eine zeitgemäße
Gesetzgebung
- Stellungnahme
GKV-Spitzenverband zur öffentlichen Anhörung zur Kostenübernahme
reproduktionsmedizinischer Behandlungen am 28.11.2018, S.6
- Stellungnahme
Wunschkind e.V. zur öffentlichen Anhörung zur Kostenübernahme reproduktionsmedizinischer
Behandlungen am 28.11.2018 mit Kalkulationsgrundlage D.I.R. 2016
- Turner, B./ Ziegler,
G. (2009): Schattenbericht zum 6. Staatenbericht der Bundesregierung
Deutschland, 2007 Zum Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung
jeder Form der Diskriminierung der Frau (CEDAW), S.39 ff.