BMJV: Reform des Abstammungsrechts in Sicht

Das Bundesjustizministerium hat zahlreiche Verbände, Insitutionen und Einzelexperten in Deutschland gebeten, zu einem ersten „Diskussionsteilentwurf“ zur Reform des Abstammungsrechts eine Einschätzung abzugeben. Auch das DI-Netz wurde angefragt. Wir haben folgendes geantwortet:

Stellungnahme der Deutschen Vereinigung von Familien nach Samenspende DI-Netz e.V.

zum Diskussionsteilentwurf eines Gesetzes zur Reform des Abstammungsrechts vom 13. März 2019 vom Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (Aktenzeichen: l A 2 3473/7-17-1-12 312/2018)

DI-Netz e.V. ist die Deutsche Vereinigung von Familien nach Samenspende. Das Kürzel „DI“ in unserem Namen ist die Abkürzung für Donogene Insemination und bedeutet Spendersamenbehandlung. Unsere Organisation vertritt die Interessen von Eltern und ihren Kindern[1] nach Samenspende sowie von Personen, die sich noch in der Vorbereitungsphase befinden.

Das DI-Netz steht im Kontakt mit mehreren hundert Familien und Kinderwunsch-patientInnen in ganz Deutschland. Durch unsere Beratungen, Familienseminare und Internetforen vermittelt sich uns ein guter Eindruck davon, was Eltern und Kinder brauchen, wenn sie ihre Familie mit Hilfe einer Samenspende gegründet haben.

Gerne nehmen wir als DI-Netz e.V. Stellung zu dem aktuellen Diskussionsentwurf zum neuen Abstammungsgesetz. Wir anerkennen und freuen uns darüber, dass in diesem Entwurf wichtige Prinzipien und Zielvorstellungen berücksichtigt werden, die aus Sicht des DI-Netzes von hoher Bedeutung sind:

  • Wir begrüßen die Bemühungen, das Abstammungsrecht den gesellschaftlichen Entwicklungen und den neuen Familienrealitäten in einer modernen Gesellschaft anzupassen. Dies ist nach der Verabschiedung des Samenspenderregistergesetzes (gültig seit dem 01.07.2018) ein logischer Schritt:                                                   
    • Nach der Sicherstellung, dass das mit Hilfe von Spendersamen gezeugte Kind Wissen über die eigene Abstammung erhalten kann, wenn es dies möchte, gilt es
    • im nächsten Schritt, die Elternschaft bei Familien nach Samenspende rechtlich eindeutig zu fixieren und analog zu anderen Familienformen zu gestalten.
  • Die Rechte der Kinder der von uns vertretenen Familien werden dadurch gestärkt, dass klare Verhältnisse geschaffen werden: der Person, die gemeinsam mit der Mutter in die assistierte Befruchtung einwilligt und entsprechend ihres Verursachungsbeitrags an der Entstehung des Kindes maßgeblich beteiligt ist, werden die vollen Rechte und Pflichten eines Elternteils zugesprochen. Dadurch wird eine Elternschaft zweiter Klasse verhindert.
  • Weiterhin werden die Rechte des Kindes gestärkt, indem der Anspruch auf Klärung der genetischen Elternschaft gegenüber dem Vater, dem mutmaßlichen Vater, aber auch gegenüber der Mutter ausgeweitet wird, ohne dass – zumindest in den meisten Fällen – daraus folgend, statusrechtliche Folgen befürchtet werden müssen.
  • Da der Samenspender vor möglichen Pflichten dem Kind gegenüber per Gesetz geschützt ist (er kann nicht als rechtlicher Vater herangezogen werden), kann die Bereitschaft des Samenspenders gesteigert werden, mit seinem Abkömmling in Kontakt zu treten. Dies kann für Kinder nach Samenspende von hohem Wert sein.

Dennoch sehen wir an einigen Stellen des Diskussionsteilentwurfs noch weiteren Klärungs-, bzw. Korrekturbedarf, mit teilweise notwendigen Anpassungen in anderen Gesetzen:

  1. Eine medizinisch assistierte Befruchtung darf nicht aufgrund einhergehender finanzieller Belastungen für Wunsch-Eltern erschwert sein

Die medizinisch assistierte Befruchtung ist defacto sowohl die Eintrittskarte (1.) für eine rechtliche Absicherung des Samenspenders (keine Anfechtbarkeit der Vaterschaft des DI-Vaters) als auch (2.) für eine Sicherstellung des Interesses des Kindes, zu gegebener Zeit Informationen über die eigene Abstammung vom  Samenspenderregister (SaRegG) erhalten zu können. Damit dieser Weg auch beschritten werden kann, darf die medizinisch assistierte Befruchtung keine finanzielle Hürde darstellen, die für sozial schwächere Familien abschreckend wirkt. Diese abschreckende Wirkung besteht aber derzeit. Damit also nicht finanzielle Erwägungen zu solchen Entscheidungen führen, die als Konsequenz eine rechtliche Schlechterstellung von Kindern nach sich ziehen, sollte die Solidargemeinschaft (Krankenkasse) die Kosten für die medizinisch assistierte Befruchtung übernehmen.

  • Die in unserer Gesellschaft zunehmend verbreitete Mehrelternschaft sollte im Abstammungsgesetz Berücksichtigung finden

Mit dem Ausklammern der Mehrelternschaft bleibt das Abstammungsrecht hinter der gesellschaftlichen Realität zurück. Mehrelternfamilien gibt es beispielsweise dort, wo verschiedengeschlechtliche homosexuelle Paare gemeinsam eine Familie bilden oder auch dort, wo ein Frauenpaar ausdrücklich und einvernehmlich mit dem Spender Verantwortung für das Kind übernehmen möchte (Co-Parenting).  Dieser Aspekt sollte Eingang ins Gesetz finden.

  • Präkonzeptionelle statt der in der Vorlage vorgesehenen vorgeburtlichen Mutter- bzw. Vaterschaftsanerkennung

DI-Netz e.V. hat sich auch in früheren Stellungnahmen zum Thema Familiengründung mit Spendersamen für eine bindende präkonzeptionelle Vaterschafts- bzw. Mutterschaftsanerkennung ausgesprochen. Daran halten wir fest, denn diese ist das geeignete Mittel, um die Position aller Beteiligten (Kind, Spender, Empfänger, soziale Eltern) bereits vor der Zeugung –  dem „point of no return“ –  verbindlich festzulegen und ihnen Rechtssicherheit zu geben. Auch andere Verbände haben sich wiederholt dafür ausgesprochen. Nicht nachvollziehbar ist, warum der Gesetzentwurf zum Abstammungsrecht nur eine vorgeburtliche Anerkennung vorsieht, also zu einem Zeitpunkt, zu dem das Kind bereits gezeugt ist.

  • Konsequente Einarbeitung der Embryonenspende sowohl ins reformierte Abstammungsrecht als auch ins SaRegG

Der Gesetzentwurf erwähnt die in Deutschland erlaubten Embryonenspenden und setzt die Position des Mannes, mit dessen Samen der gespendete Embryo entstanden ist, mit der Position des Samenspenders gleich. Die Frau hingegen, von der die Eizelle kommt, aus der der gespendete Embryo entstanden ist, bekommt keine weitere Beachtung, da die Mutter ja per Gesetz nur die Frau ist, die das Kind geboren hat.

Die Spenderdaten von gespendeten Embryonen werden leider nicht im SaRegG erfasst. Deshalb ist es für die betreffenden Kinder unter Umständen weiterhin schwer, ihre genetische Herkunft festzustellen.

Eine Pflicht zur Speicherung der Spenderdaten von Embryonenspenden im Spenderregister sollte aus unserer Sicht durch eine entsprechende Änderung im SaRegG noch erfolgen. Die Gleichstellung der Spenderin und des Spenders mit Samenspendern und Eizellspenderinnen wäre konsequent.

Gerade bei der Embryonenspende sind sehr komplexe Umstände denkbar, auf die der Gesetzgeber sich vorbereiten muss, z.B. wie in folgender Konstellation: Gespendete Embryonen, zumindest in Deutschland, sind ursprünglich nicht gezeugt worden, um sie zu spenden. Vielmehr sollten sie ursprünglich zu Kindern des Paares werden, von dem die Gameten stammen. Sie wurden schließlich gespendet, weil das Paar inzwischen Kinder aus seinen anderen Embryonen bekommen hat und keine weiteren Kinder mehr bekommen möchte oder kann. Manchmal darf die Spenderin selbst keine weiteren Kinder mehr austragen. Deshalb könnte es sogar Situationen geben, in denen z.B. die Geburtsmutter und der soziale Vater gestorben sind und die Herkunftseltern gemeinsam mit dem Kind ein Interesse haben, das Kind in die Familie zu integrieren, also die Elternschaft zu übernehmen.

  • Elternschaft transsexueller und intersexueller Menschen stärker berücksichtigen

Wir haben in unserem Verein keine transsexuellen oder intersexuellen Wunscheltern, jedoch glauben wir, dass die Interessen dieser Menschen im Gesetzentwurf kaum Berücksichtigung gefunden haben. Wir möchten anregen, hier mit den Betroffenen in Kontakt zu treten.

  • Verbindlichere Form des Widerrufs, im Zusammenhang mit unserem Vorschlag einer präkonzeptionellen Anerkennung

Für die Einwilligung in die assistierte Befruchtung ist nach dem vorliegenden Entwurf lediglich die Schriftform erforderlich, für den Widerruf noch nicht einmal diese. Diese Formerfordernisse halten wir nicht für ausreichend. Wer will im Streitfall einen mündlichen Widerruf belegen? Wie soll der behandelnde Arzt herausfinden, ob der Partner oder die Partnerin der Empfängerin einer Samenspende direkt vor der Insemination seiner bzw. ihrer Zustimmung zur Übernahme der sozialen Vaterschaft/ Mutterschaft widersprochen hat? Wie soll gewährleistet werden, dass die Betreffenden hinreichend juristisch aufgeklärt wurden?

Um hier echte Rechtssicherheit zu schaffen, plädieren wir für eine weitere Konkretisierung in Form einer notariellen Beglaubigung einer präkonzeptionellen Elternschaftsanerkennung. Die Möglichkeiten des präkonzeptionellen Widerrufs sollten Bestandteil der notariellen Erklärungen im Zusammenhang mit der präkonzeptionellen Elternschaftsanerkennung sein. Der präkonzeptionelle Widerruf sollte zumindest schriftlich erfolgen. Der Widerrufende sollte Sorge dafür tragen, dass die Wunschmutter, die das Kind austragen wollte, rechtzeitig in Kenntnis gesetzt wird. Dies sollte er nachweisen können.

  •  „Medizinisch assistierte Befruchtung“ statt „künstliche Befruchtung“

Der Begriff der „Künstlichen Befruchtung“ wird in der Alltagssprache, in Publikationen und in Gesetzestexten häufig verwendet, oftmals jedoch sprachlich inkorrekt oder zumindest ungenau. Manchmal ist damit eine Insemination unter Zuhilfenahme von Inseminations- Instrumenten mit Hilfe eines Dritten (eines Arztes oder auch nur einer anderen Person) gemeint, manchmal meint man damit Samenspende, manchmal aber auch eine Insemination mit den Samen des Partners. Im anderen Kontext meint man mit „künstlicher Befruchtung“ eine In-Vitro-Fertilisation. Dabei ist bei keinem der genannten Vorgänge die Befruchtung künstlich. In allen Fällen werden Ei- und Samenzelle nur mit nicht herkömmlichen Methoden zusammengebracht, bevor dann eine vollkommen natürliche Befruchtung ablaufen kann.

Ein Gesetzestext sollte potentiell diskriminierende und/oder unklare Begriffe vermeiden. Deshalb plädieren wir für die Verwendung des Begriffs „medizinisch assistierte Befruchtung“.

  • An welche Umstände ist gedacht, die als unzumutbar gelten dürfen und eine Vaterschaftsanfechtung durch das Kind erlauben?

Unklar bleiben uns die genauen Umstände von §1600e (6), durch die die Vaterschaft oder Mit-Mutterschaft für das Kind unzumutbar werden, so dass es diese anfechten darf. Wer bewertet die konkreten Umstände als unzumutbar?  Wie verträgt sich diese Bestimmung mit dem Aussetzen der Anfechtbarkeit der Vaterschaft unter der Bedingung der medizinisch assistieren Befruchtung nach Samenspende §1600b?

  • Wer ist mit „offizieller Samenspender bei privater Insemination“ gemeint?

In der Begründung zum Diskussionsteilentwurf steht auf der Seite 58, dass der „offizielle Samenspender bei privater Insemination“ keinen Klärungsanspruch haben soll. Es erschließt sich nicht, anhand welcher Kriterien beurteilt werden soll, ob es sich bei der privaten Insemination um einen offiziellen oder um einen inoffiziellen Samenspender handelt. Hier bitten wir um eine präzise Definition.

Trotz der Punkte 1. bis 9. möchten wir an dieser Stelle nochmals betonen, dass ein dem Diskussionspapier entsprechender Gesetzentwurf aus unserer Sicht den sachlogisch notwendigen nächsten Schritt zur Erreichung eines modernen Familienrechtes darstellt. Wir würden eine Umsetzung in der bisher sich abzeichnenden Form begrüßen und unterstützen.

Wir bedanken uns nochmal sehr für die Einladung, Stellung nehmen zu können und wünschen uns, auch weiterhin an diesem Diskussionsprozess teilnehmen zu können und Gehör und Aufmerksamkeit für unsere Position zu finden.

Ulrich Simon

Vorstand DI-Netz e.V.


[1] Die Gesamtgruppe der Kinder aus Samenspende hat keine Alleinvertretung. Ein kleiner Teil wird durch die Interessengruppe des Vereins „Spenderkinder“ vertreten, ein anderer Teil durch die Vereinigung DI-Netz, wieder ein anderer Teil durch den LSVD. Aufgrund der Geheimhaltung der Samenspende ist ein Großteil von Kindern und Eltern im politisch-öffentlichen Raum nicht repräsentiert.