– Lehren aus dem TP53-Fall der European Sperm Bank
Der Fall eines dänischen Samenspenders mit einer erblichen Krebsdisposition hat europaweit Familien beunruhigt – auch im DI-Netz. Unser Netzwerk setzt sich seit Jahren für eine gesetzliche Höchstgrenze der Kinder pro Spender ein, um Familien und Kinder besser zu schützen – durch klare Begrenzung, Transparenz und europäische Standards.
Unsere Forderung: Nicht mehr als 10 Familien pro Spender…
[Lesedauer: 20 Minuten]
Das DI-Netz setzt sich seit seiner Gründung dafür ein, dass Samenspende verantwortungsvoll und ethisch vertretbar gestaltet wird. Seit vielen Jahren fordern wir, die Zahl der Kinder zu begrenzen, die aus der Samenspende eines einzelnen Mannes hervorgehen dürfen.
Bereits vor 13 Jahren überreichten wir der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Schreiben u.a. mit dieser Forderung. Auch 2018, vor der Einführung des deutschen Samenspenderregisters, warnten wir erneut und eindringlich vor den Risiken einer fehlenden Begrenzung – ebenso wie der Verein Spenderkinder. Im Sommer 2025 geriet dann ein Fall eines dänischen Samenspenders mit einer vererblichen Krebsdisposition in die Schlagzeilen, was nun erneut zeigt, dass unsere Sorgen berechtigt sind. Der dänische Fall muss ein Weckruf für die eurpäische Gesetzgebung sein!
1. Der dänische Fall
Die European Sperm Bank (ESB) hat den Samen eines Mannes vermittelt, der unwissentlich eine Mutation im TP53-Gen trug und dessen Samenproben über mehrere Jahre hinweg europaweit verbreitet wurden. Das TP53- Gen kodiert das Tumorsuppressor-Protein p53, das die Zellteilung reguliert und Krebs verhindert. Mutationen können zum Li-Fraumeni-Syndrom führen, einer seltenen, aber schweren erblichen Krebserkrankung mit extrem früher Tumorentwicklung.
Der Gendefekt des Spenders wurde erst entdeckt, nachdem Kinder aus seiner Samenspende an Krebs erkrankten. Ein französisches Labor analysierte die Fälle und stellte die Ergebnisse 2024 auf der „Jahrestagung der Europäischen Gesellschaft für Humangenetik“ in Mailand vor. Nach aktuellem Stand wurden in der Zeit von 2008 bis 2015 mindestens 67 Kinder von 48 Familien in acht europäischen Ländern durch diesen Spender gezeugt[1]. 23 tragen die Mutation und mindestens zehn Personen sind bereits im Kindesalter an Krebs erkrankt[2], etwa an Leukämie oder dem Non-Hodgkin-Lymphom. Beim TP53-Gen wären theoretisch über 2000 verschiedene Mutationsvarianten denkbar. In diesem Fall handelt es sich um eine Mosaikmutation, was bedeutet, dass nicht alle Zellen den Defekt aufweisen. Nach Angaben der ESB betrifft die Mutation bei diesem Spender weniger als die Hälfte seiner Spermien – daher trägt nicht jeder Nachkomme des Spenders die Mutation.
Die mit dem Samen des Spenders gezeugten Kinder leben in Belgien, Deutschland, Spanien, Griechenland, Irland, den Niederlanden, Polen und Zypern. Besonders viele Kinder, nämlich 52, gibt es in Belgien, wo die gesetzlichen Bestimmungen seit 2007 eigentlich eine gesetzliche Höchstgrenze von sechs Empfängerinnen pro Spender vorsehen. Die belgischen Kliniken gaben zunächst an, ihnen habe der landesweite Überblick gefehlt. Zugleich stellte sich aber heraus, dass einzelne Kliniken die Obergrenze bereits innerhalb ihrer eigenen Einrichtung überschritten hatten.
Die ESB teilte dem DI-Netz mit, alle Kinderwunschzentren informiert zu haben, an die Samenproben dieses Mannes geliefert worden ist, damit diese die Empfängerinnen warnen können. Von den Mitgliedsfamilien des DI-Netzes haben rund 30 Eltern(-paare) zwischen 2008 und 2015 durch Samenspenden der ESB Kinder bekommen. Da die ESB Anfang 2018 das IRC in Hamburg aufkaufte, ist uns unklar, ob weitere Mitgliedsfamilien betroffen sein könnten. Das DI-Netz hat von keinem Fall im eigenen Netzwerk gehört. Es geht aber das Gerücht von zwei Fällen in Deutschland, und nach unseren Informationen bezogen drei deutsche Kinderwunschzentren Samenproben des betroffenen Spenders. Ob alle betroffenen Familien tatsächlich von ihren früheren Ärzt:innen informiert wurden, ist uns nicht bekannt[3]. Besorgten Familien empfehlen wir eine Nachfrage bei ihrem damaligen Kinderwunschzentrum.
Für die von der Genmutation betroffenen Personen bedeutet die Diagnose ein Leben unter medizinischer „Dauerüberwachung“. Die Erkrankung selbst ist nicht heilbar; nur eine frühzeitige Erkennung von Tumoren kann Leben retten. Man kann sich die Belastung und die Sorgen der Familien vorstellen, deren Kinder nun ein unendliches, engmaschiges Vorsorgeprotokoll durchlaufen, um einen möglichen Tumor frühzeitig zu entdecken. Dazu zählen wiederholte Ganzkörper-MRT-Scans, MRT-Scans des Gehirns und bei Erwachsenen auch der Brust, sowie Ultraschalluntersuchungen des Abdomens und regelmäßige Untersuchungen durch Spezialist:innen. Dieser Fall zeigt, dass die europaweite Nutzung desselben Spenders ohne zentrale Kontrolle erhebliche Risiken schafft – sowohl medizinisch als auch menschlich[4].
Unklare Abläufe und fehlende Meldepflichten
Weder aus den Medien noch durch die ESB selbst konnte das DI-Netz erfahren, wann die Samenbank erstmals von Eltern oder Ärzt:innen über den ersten Krankheitsfall informiert wurde und wie sie darauf reagierte. Unklar ist, wann sie die Proben des Spenders auf die Mutation überprüfte, wann der Verkauf gestoppt wurde und wann die betroffenen Kinderwunschzentren in welcher Form benachrichtigt wurden[5]. Nach den uns vorliegenden Informationen informierte die ESB erst im November 2023 die „Föderale Agentur für Arzneimittel und Gesundheitsprodukte (FAMHP)“ über den Gendefekt eines Spenders. Zwar ist bekannt, dass die betroffenen Kinder in dem Zeitraum zwischen 2008 und 2015 geboren sind, nicht jedoch, wann und über welchen Zeitraum der Spender tatsächlich aktiv gespendet hat und wann der erste Fall auftrat. Auch die weiteren Abläufe bleiben undurchsichtig: Haben die Kinderwunschzentren die Information tatsächlich an alle Familien weitergegeben, die eine Behandlung mit dem Samen dieses Spenders erhalten hatten? Falls ja, wie und mit welchen Empfehlungen wurden die Familien kontaktiert – etwa zur genetischen Beratung, Testung oder Überwachung ihrer Kinder? Ebenfalls offen ist, ob und wann staatliche oder europäische Behörden in die Untersuchung des Falls eingebunden wurden.
Diese Fragen erscheinen uns bislang unbeantwortet. Ein gesetzlich verbindliches, standardisiertes Verfahren für den Umgang mit solchen Fällen existiert weder in Dänemark noch in Deutschland. Es gibt keine Meldepflicht gegenüber Behörden und keine einheitliche Vorgabe, wie und wann und durch wen andere Familien informiert werden, wenn sich bei einem Spender oder bei einem anderen Kind eine schwerwiegende genetisch bedingte Erkrankung zeigt. Ebenso fehlt bislang eine Verpflichtung für Eltern, Krebsfälle oder andere lebensbedrohliche genetische Erkrankungen ihres Kindes, die auf den Spender zurückzuführen sein könnten, an die jeweilige Samenbank oder das Kinderwunschzentrum zurückzumelden. Nur durch Rückkopplung zwischen Eltern, Spender, Kinderwunschzentren, Samenbanken und Behörden könnte eine effektive Früherkennung und Schadensbegrenzung stattfinden[6].
Diese Lücken verdeutlichen, dass europaweit klare Regeln, Fristen und Verantwortlichkeiten notwendig sind, damit die Betroffenen künftig schnell und zuverlässig informiert werden.
2. Medizinische und genetische Aspekte
Das Li-Fraumeni-Syndrom ist extrem selten (1 : 20 000 – 1 : 100 000). Da die Mutation so selten ist, gehört TP53 bislang nicht zu den Standardtests, die Samenbanken bei gesund wirkenden Spendern durchführen. Inzwischen sind genetische Untersuchungen auf häufige dominante Mutationen jedoch technisch unkompliziert und preislich überschaubar. Für 200 bis 600 Euro könnte jede Samenbank gezielt nach solchen Veränderungen suchen.
Dem DI-Netz ist keine deutsche Samenbank bekannt, die derzeit auf TP53-Mutationen testet. Samenbanken kündigen zwar oft ein „genetisches Screening“ von Samenspendern an, üblicherweise werden spendewillige Männer allerdings lediglich nach erblichen Erkrankungen in ihrer Familiengeschichte befragt (Stammbaumerhebung über drei Generationen). Diese Anamnese beruht weitgehend auf Selbstauskünften des Spenders und vertraut auf die Richtigkeit seiner Angaben. Ergänzend können, je nach Praxis der jeweiligen Einrichtung, Tests auf einzelne genetisch bedingte Erkrankungen durchgeführt werden. Ein verbindlicher Katalog solcher Untersuchungen existiert bislang nicht[7]. Die fehlende Standardisierung führt dazu, dass Art und Umfang genetischer Tests von Samenbank zu Samenbank erheblich variieren. Welche genetischen Erkrankungen künftig verpflichtend geprüft werden sollen, sollte daher von den zuständigen Gesundheitsbehörden auf des Basis wissenschaftlicher Kriterien festgelegt werden. Ein verpflichtender Testkatalog würde sich ausdrücklich nicht auf häufige oder milde genetisch mitbedingte Merkmale wie Kurzsichtigkeit, Migräne, Laktoseintoleranz, ADHS oder leicht erhöhte Cholesterinwerte beziehen. Solche weitverbreiteten oder oft gut behandelbaren Probleme gehören nicht in einen Screeningkatalog. Gemeint sind ausschließlich wenige, klar definierbare und schwerwiegende erblich bedingte Erkrankungen, denn das Ziel ist Prävention, nicht eugenische Selektion. – Die Lücke in der Regulierung der Testung ist vermeidbar – und angesichts der heute verfügbaren technischen Möglichkeiten, gerade in der Spendersamenbehandlung, wo viele Kinder pro Spender entstehen, nicht mehr zu rechtfertigen[8].
3. Verantwortung und staatliche Schutzpflicht
Jeder Mann hat das Recht, sich auf natürlichem Wege fortzupflanzen – auch Männer mit genetischen Erkrankungen. Dieses Recht darf jedoch nicht auf Samenspenden via Samenbank ausgeweitet werden, deren Aufgabe es ist, medizinische Risiken für Dritte zu vermeiden. Wenn ein einzelner Mann durch Samenspende Dutzende Kinder mit einer schweren Erbkrankheit hervorbringt, betrifft das nicht nur individuelle Schicksale, sondern auch die Verantwortung der Gesellschaft für den Schutz von Kindern und Familien. Hier steht die Schutzpflicht des Staates im Vordergrund – nicht, weil für die Bevölkerung insgesamt ein Gesundheitsrisiko bestünde, sondern weil der Staat verpflichtet ist, vermeidbare Schäden für einzelne Kinder und Familien zu verhindern. Die Verantwortung liegt darin, individuelle Risiken zu begrenzen, die durch unkontrollierte medizinische Verfahren systematisch vervielfacht werden können.
Kein Staat darf willkürlich in die private Familienplanung eingreifen, doch dort, wo reproduktionsmedizinische Verfahren gezielt eingesetzt werden, ist eine staatliche Mitverantwortung gegeben. Die Samenspende ist kein privater Zufall, sondern eine medizinisch gesteuerte Handlung. Sie bedarf daher klarer Regeln, um Schaden zu vermeiden.
4. Ökonomische Fehlanreize
Bei der Nutzung der ESB können Nutzerinnen Geld sparen, wenn sie sich auf die Wahl eines Spenders einlassen, bei dem die Samenbank ein hohe Kinderzahl zulässt. So erlaubt die Europäische Samenbank international bis zu 75 (!) Kinder pro Spender, die dänische Nachbarbank Cryos sogar unendlich viele – ein Modell das ökonomisch vorteilhaft, aber ethisch äußerst bedenklich ist.
Samenbanken profitieren wirtschaftlich davon, wenn ein Massenspender viele erfolgreiche Schwangerschaften erzielt. Die hohen Kosten für medizinische Untersuchungen, Lagerung und Werbung machen es finanziell attraktiv, „erfolgreiche“ Spender möglichst häufig einzusetzen.
Langfristig rechnet sich diese Praxis jedoch nicht. Jeder Skandal – wie der dänische Fall – beschädigt das Vertrauen in alle Einrichtungen der Spendersamenbehandlung, erzeugt ethische Bedenken und gefährdet das Ansehen einer Branche, die auf Glaubwürdigkeit angewiesen ist.
Die Vorstellung, aus einem einzelnen Spender möglichst viele Nachkommen „herauszuholen“, wirkt entmenschlichend. Sie reduziert die Samenspende auf eine Form biologischer Ausbeutung. Eine solche Kommerzialisierung des Erbguts widerspricht dem Prinzip der Menschenwürde und gefährdet das Vertrauen in die Reproduktionsmedizin.
5. Psychosoziale Auswirkungen einer hohen Zahl von Kindern pro Spender
Eltern in unserem Netzwerk empfinden den Gedanken, dass ein Spender Dutzende Kinder in verschiedenen Ländern gezeugt hat, als zutiefst belastend. Viele berichten, dass ihnen bewusst ist, dass ihr Kind vielleicht irgendwann mehr über seine biologisch-verwandtschaftliche Konstellation erfahren will – und sie wünschen ihren Kinder, nicht eines Tages vor der Erkenntnis zu stehen, 50 oder 100 genetische „Halbgeschwister“ zu haben.
Kinder aus Samenspende reagieren unterschiedlich: Einige freuen sich erstmal über sog „Halbgeschwister“, die meisten von ihnen empfinden jedoch große Unsicherheit, je mehr neue Personen bei ihrer Verwandtensuche auftauchen. Viele beschreiben, dass sich eine große Zahl an Kindern vom selben Spender „unwirklich“ oder „zu viel“ anfühlt – dass die eigene Entstehung dadurch an Einzigartigkeit verliert. Dafür muss ein Kind sich nicht einmal aktiv auf die Suche nach anderen Kindern des Spenders machen; allein die Vorstellung, irgendwo könnten Dutzende oder Hunderte genetische „Halbgeschwister“ existieren, ist für viele schon gedanklich überfordernd und psychisch enorm belastend.
Auch Spender äußern solche Gefühle. Viele Spender wünschen sich nur eine begrenzte Zahl an Nachkommen, weil spätere mögliche Kontaktanfragen für sie eine persönliche Verantwortung darstellen. Deshalb sollte ein Spender das Recht haben, innerhalb eines vorgegebenen Rahmens eine niedrigere eigene Höchstgrenze festzulegen. Durchgängig extrem niedrige Zahlen – etwa nur eine einzelnes Kind – wären vermutlich kaum praktikabel. Aber ein Spielraum bis zur Obergrenze würde die Selbstbestimmung der Spender respektieren und zugleich klare, faire und verlässliche Regeln für alle Beteiligten gewährleisten.
Eine unbegrenzte Nutzung eines Spenders führt dagegen nicht nur zu medizinischen Risiken, sondern auch zu emotionalen und sozialen Überforderungen.
6. Fehlende Regulierung in Deutschland und Europa
In Deutschland existiert derzeit keine gesetzliche Höchstgrenze der Zahl der Kinder, die durch einen Spender entstehen dürfen. Die alte Richtlinie der Bundesärztekammer enthielt bis 2018 die Empfehlung, die Zahl auf zehn Schwangerschaften zu begrenzen; diese Klausel ist inzwischen entfallen. Der „Arbeitskreis Donogene Insemination“ empfiehlt höchstens 15 Kinder, jedoch ohne rechtliche Verbindlichkeit. Das seit 2018 bestehende Samenspenderregister hätte die Aufgabe der Begrenzung übernehmen können, tut es aber nicht: Es speichert zwar die Identität von Spendern und Empfängerinnen, kontrolliert jedoch nicht, wie viele Kinder pro Spender entstehen.
Hinzu kommt: Ein Spender kann gleichzeitig an mehreren Samenbanken spenden. Ohne eine zentrale Kontrolle kann dadurch die Zahl der Nachkommen eines Mannes leicht vervielfacht werden. Das macht eine nationale, staatlich überwachte Begrenzung unumgänglich. Eine nationale Obergrenze ist besser als keine – doch langfristig muss eine europaweite Regelung angestrebt werden, damit nationale Grenzen nicht durch Exporte umgangen werden.
Andere Länder sind hinsichtlich der Gesetzgebung auf nationaler Ebene schon weiter als Deutschland:
Frankreich erlaubt maximal zehn Kinder pro Spender, die Niederlande und Großbritannien begrenzen auf zwölf bzw. zehn Familien, Belgien auf sechs Frauen, die Schweiz auf acht Kinder, Norwegen auf sechs Familien. Dänemark, Sitz der größten europäischen Samenbanken, gestattet zwölf Familien – ältere Spender dürfen sogar bis zu 25 Kinder zeugen. Da dortige Banken jedoch europaweit und international exportieren, können faktisch Hunderte Nachkommen entstehen.
Die kommende EU-Verordnung zu Substances of Human Origin (SoHO) (Inkrafttreten 7. August 2027) wird diese Lücke, wie zu befürchten ist, nicht schließen, da die Zahl der Kinder vermutlich weiterhin national festgelegt werden soll. Damit bleibt die zentrale Schwachstelle bestehen: Ohne europaweite Obergrenze lässt sich eine zu hohe Zahl von Kindern pro Spender nicht verhindern.
7. Warum eine Begrenzung notwendig ist
Eine Obergrenze schützt auf mehreren Ebenen:
- Sie begrenzt die Multiplikation genetischer Risiken – bei einer begrenzten Kinderzahl sind im Ernstfall weniger Menschen betroffen.
- Sie schützt die soziale Integrität der Verwandtschaftsbeziehungen, da sich Beziehungen zu sog. genetischen Halbgeschwistern in überschaubarem Rahmen entwickeln können.
- Sie reduziert die Gefahr unwissentlich inzestuöser Beziehungen zwischen sog. genetischen Halbgeschwistern.
- Und sie schützt das Vertrauen in die Samenspende insgesamt.
Immer wieder wird argumentiert, dass eine Begrenzung der Kinderzahl pro Spender zu einer geringeren Verfügbarkeit von Samenproben und längeren Wartezeiten führen würde. Diese Sorge ist unbegründet: Erfahrungen zeigen, dass sich eine reduzierte Spenderzahl durch gezielte und verbesserte Akquise gut ausgleichen lässt. Eine verantwortungsvolle Rekrutierung ist langfristig nachhaltiger und stärkt das Vertrauen von Wunscheltern und Spendern gleichermaßen. Internationale Samenbanken argumentieren auch häufig, eine weite „geografische Streuung“ der Nachkommen verringere das Risiko zufälliger verwandtschaftlicher Begegnungen (Konsanguinität). In der Praxis schafft die Streuung jedoch keine Sicherheit, sondern erschwert die Nachverfolgbarkeit genetischer Verwandtschaft über Ländergrenzen hinweg. Auch bei einer globalen Verteilung vervielfacht sich im Fall einer erblichen Erkrankung das Risiko, dass unverhältnismäßig viele Kinder betroffen sind – und viele empfinden es als belastend, Teil einer kaum überschaubaren Zahl von sog. Halbgeschwistern zu sein, selbst wenn diese weltweit verstreut leben.
Eine sinnvolle Höchstgrenze liegt aus Sicht des DI-Netzes bei zehn Familien pro Spender. Diese Zahl orientiert sich in etwa am oberen Bereich natürlicher Zeugungsraten von Männern und bleibt damit im menschlich und sozial vertretbaren Rahmen, selbst wenn man mitbedenkt, dass der Spender auch noch eine eigene Familie gründet. Die Anzahl zehn wäre überschaubar für alle Beteiligten, acht könnte aber auch ausreichend sein, wenn man bedenkt, dass mehrere Kinder pro Familie entstehen. Nach unten legt sich das DI-Netz nicht streng fest. Ein Spender müsste die Zahl selbstbestimmt bis zu einer bestimmten Untergrenze unterschreiten dürfen.
8. Forderungen des DI-Netz e.V.
Gesetzliche Begrenzung der Familien pro Spender
- Einführung einer verbindlichen Obergrenze von höchstens zehn Familien pro Spender in Deutschland.
- Ergänzung des Auftrags an das Samenspenderregister, damit das Register die Einhaltung der Grenze automatisch überwacht und Spender bei Erreichen der Höchstzahl durch Rückmeldung an Samenbanken und Kinderwunschzentren sperrt.
Europäische Harmonisierung
- Einführung einer europaweiten Obergrenze, um zu verhindern, dass Spender durch grenzüberschreitenden Export weiterhin Dutzende oder sogar Hunderte Kinder zeugen können.
- Vernetzung nationaler Register, Austausch von Spenderdaten und verbindliche Meldepflichten bei schwerwiegenden Erkrankungen.
- Einführung eines europaweit standardisierten Melde- und Warnsystems für genetische Erkrankungen bei Spendern: Sobald bei einem Spender oder einem seiner Nachkommen eine relevante Erbkrankheit festgestellt wird, müssen Samenbanken, Register und behandelnde Kinderwunschzentren verpflichtet sein, innerhalb festgelegter Fristen alle betroffenen Einrichtungen und Familien zu informieren.
- Einführung einer Rückmeldepflicht für Eltern, schwerwiegende genetische Erkrankungen oder Krebsfälle ihrer Kinder, die auf Vererbung durch den Spender zurückzuführen sein könnten, an Samenbank und Kinderwunschzentrum zu melden.
- Einheitliche Verfahrensvorgaben für Dokumentation, Weitergabe und Nachverfolgung solcher Meldungen, einschließlich einer Aufsichtsstelle, die die Einhaltung überprüft.
Medizinische Sicherheit
- Verpflichtende genetische Tests auf häufige dominante Mutationen (u. a. TP53, BRCA1/2, NF1[9]).
- Sofortige Sperrung eines Spenders bei Bekanntwerden einer schwerwiegenden erblichen Erkrankung.
- Verpflichtung zur sofortigen Information aller Familien, die mit dem Samen dieses Spenders entstanden sind.
- Verpflichtung der Spender zu regelmäßigen Gesundheits-Updates und zur Meldung neu aufgetretener erblich bedingter Krankheiten auch nach Abschluss ihrer Spendezeit
- Ergänzung der bestehenden rechtlichen Grundlagen (Arzneimittelgesetz und Gewebeverordnung), damit schwerwiegende genetische Erkrankungen ausdrücklich als Gründe für den Ausschluss oder Rückzug von Samenspenden festgelegt werden.
Transparenz
- Spender, Eltern und Kinder müssen wissen dürfen, wie viele Kinder durch denselben Spender entstanden sind.
- Samenbanken sollen offenlegen, welche genetischen Tests sie durchführen.
- Verpflichtende Aufklärung aller Empfängerinnen über den Umfang und die Grenzen der durchgeführten genetischen Untersuchungen des Spenders.
- Keine finanziellen Anreize für die Nutzung von Vielfachspendern.
Sanktionen
- Überschreitungen der Höchstgrenzen müssen strafbewehrt sein.
- Lizenzentzug bei systematischen Verstößen.
- Einrichtung einer unabhängigen Kontrollstelle, die Meldungen zu genetischen Erkrankungen, Überschreitungen und Informationspflichten prüft und koordiniert, mit regelmäßigen Audits der Samenbanken.
Nutzung des Registers
- Das Samenspenderregister sollte auch den Kontakt zwischen sog. genetischen „Halbgeschwistern“ ermöglichen, wenn beide Seiten dies wünschen.
- Es sollte mit anderen Registern auf europäischer Ebene vernetzt sein.
9. Schlussbemerkung
Wir Eltern im DI-Netz wissen, dass jede Geburt ein Wagnis ist. Kein Mensch kann garantieren, ein völlig gesundes Kind zu bekommen – weder auf natürlichem Weg noch durch medizinische Hilfe.
Wir lehnen es ab, den dänischen Fall zu skandalisieren oder Samenspende pauschal in Misskredit zu bringen. Auch dieser Spender galt nach damaligem Wissen als gesund – die Mutation hätte ebenso in einer natürlichen Zeugung auftreten können. Doch dass ein einziger Mann Dutzende Kinder in ganz Europa mit derselben genetischen Veränderung zeugen konnte, ist kein Schicksal, sondern eine Folge fehlender Regulierung.
Wenn die Spendersamenbehandlung verantwortungsvoll und menschenwürdig sein soll, müssen klare Grenzen gelten. Es braucht verbindliche Höchstzahlen, europaweite Registrierung, geregelte Meldeverfahren und medizinische Mindeststandards.
Wir wünschen uns, dass Politik und Fachwelt diesen Fall zum Anlass nehmen, endlich verbindliche Grenzen zu schaffen. Nur wenn medizinische Möglichkeiten mit Verantwortung einhergehen, kann Samenspende ein sicherer und respektvoller Weg zur Familiengründung bleiben.
Dipl.-Psych. Claudia Brügge (Vorsitzende) DI-Netz e.V. – Deutsche Vereinigung von Familien nach Samenspende
[1] Die ESB selbst wollte keine konkrete Zahl nennen, und wir wissen nicht, ob sie selbst die tatsächliche Anzahl der gezeugten Kinder kennt. Öffentlich bekannt wurde lediglich die Zahl von 67 Kindern in acht Ländern. Da 52 von ihnen in Belgien leben, verbleiben rein rechnerisch 15 Kinder für die übrigen sieben Länder – darunter Deutschland. Bei korrekter Datenlage wären hierzulande also maximal neun Kinder zu erwarten, die von diesem Spender abstammen und die Mutation entweder geerbt haben oder nicht. Das Gerücht sagt, es sind zwei betroffene Kinder in Deutschland bekannt. Weil die ESB die Anzahl von 67 bislang nicht bestätigt hat, könnte die Vermutung allerdings naheliegen, dass die Gesamtzahl der Kinder höher liegt.
[2] Die Fälle wurden 2023 öffentlich bekannt. In diesem Jahr müssen die krebserkrankten Kinder zwischen 8 und 15 Jahren gewesen sein. Die Krebserkrankung trat also schon sehr früh auf. Man erfährt aus den Medien nicht, wieviel Zeit zwischen dem Auftreten der Krankheit, der Meldung und dem öffentlichen Bekanntwerden lag.
[3] Der betroffene Spender ist bislang anonym geblieben; die ESB hat seinen Namen auch gegenüber betroffenen Familien nicht offengelegt. Dem DI-Netz ist nicht bekannt, ob die betroffenen Familien erfahren durften, wer die anderen betroffenen Familien sind.
[4] Auch für den betroffenen Spender dürfte dieser Fall eine erhebliche psychische Belastung darstellen. Er muss damit leben, dass durch seine Samenspende Kinder mit einer schweren genetischen Erkrankung entstanden sind – etwas, das er weder vorhersehen noch verhindern konnte. Der Fall zeigt, dass fehlende Regulierung auch Spendern eine Verantwortung aufbürden kann, die sie allein nicht tragen sollten
[5] Laut Presseberichten wurde das französische Labor 2023 von einem Arzt informiert, der eine Familie betreute, die zuvor ein Schreiben der ESB erhalten hatte.
[6] Wendy Kramer ist Gründerin des „Donor Sibling Registry“ (USA) und Ehrenmitglied im DI-Netz, Ihr privatwirtschaftliches Register gilt als die weltweit größte Vernetzungsplattform für die Verwandtschaftssuche von Familien nach Samenspende. Wendy Kramer sammelt seit vielen Jahren Erfahrungsberichte von Familien, in denen genetisch (mit-)bedingte Erkrankungen möglicherweise über Samenspende weitergegeben wurden. In den meisten Fällen wird berichtet, dass andere betroffene Familien durch die Kliniken nicht informiert wurden.
[7] In den Empfehlungen des Arbeitskreises Donogene Insemination (Fassung 2006) wird als Ziel der Untersuchungen lediglich die „Verminderung des Risikos genetischer Störungen“ genannt. Die Familienanamnese soll anhand eines Stammbaums erhoben werden; Männer mit bekannten erblichen Erkrankungen oder familiärer Häufung bestimmter Leiden (schwere allergische Disposition, familiäre Fettstoffwechselstörungen, Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, Epilepsie, juveniler Diabetes, Asthma, Rheuma, Psoriasis, Psychosen, juvenile Herzfehler und juvenile Hypertonie) sollen von der Spende ausgeschlossen werden, wobei nicht deutlich gemacht wird, wie es zu dieser Liste gekommen ist (vgl. kritisch Schmidtke, 2010). Zytogenetische oder molekulargenetische Tests werden „in der Regel nicht durchgeführt“. Nur wenn Wunscheltern ausdrücklich einen genetisch getesteten Spender wünschen, kann die Samenbank solche Untersuchungen veranlassen – die Kosten dürfen dann den Empfänger:innen in Rechnung gestellt werden. Dr. Hammel, der Vorsitzende des AKDI gibt ein standardmäßige Testung auf Mukoviszidose und eine „Chromosomenanalyse“ an.
[8] Die European Sperm Bank bietet inzwischen gegen Aufpreis einen erweiterten Gentest auf rund 400 Gendefekte an (Kosten: 995 €). Damit bleibt die umfassendere genetische Untersuchung jedoch eine freiwillige Zusatzleistung, abhängig von den wirtschaftlichen Entscheidungen der Samenbank und der zahlenden Kundinnen. Aus Sicht des DI-Netzes darf genetisch-gesundheitliche Sicherheit aber nicht zur Kostenfrage werden: Mindeststandards müssen für alle Spenden verbindlich gelten – unabhängig davon, ob jemand bereit oder in der Lage ist, dafür extra zu bezahlen. Allerdings kann selbst ein solcher erweiterter Test keine absolute Sicherheit gewährleisten. Eine vollständige Genomsequenzierung aller Spender wäre weder realistisch noch ethisch oder wirtschaftlich vertretbar – und sie würde genetische Risiken auch nicht ganz ausschließen. Deshalb bleibt entscheidend, ihre mögliche Vervielfachung durch eine zu hohe Zahl von Nachkommen eines Spenders zu verhindern.
[9] In Deutschland ist dem DI-Netz ein Fall von Neurofibromatose (NF1, Morbus Recklinghausen) bekannt, die nach Auskunft der Mutter durch den Spender einer deutschen Samenbank an ihren Sohn vererbt worden sei. Bei der European Sperm Bank, damals noch unter dem Namen Nordic Cryobank geführt, wurde bereits 2009 ein erster größerer Skandalfall öffentlich: Von 43 durch einen Spender gezeugten Kindern waren neun an NF1 erkrankt. Nach dem dritten bekannten Krankheitsfall stellte die Bank die Nutzung der Proben dieses Spenders (Nr. 7042) ein. In der Folge wurde innerhalb(!) Dänemarks die gesetzliche Obergrenze der Kinder pro Spender von 25 auf 12 reduziert.