1. ExpertInnen Videochat mit Helga Müller am 16.4.2024


Für den 16.4.2024 konnten wir die Rechtsanwältin Helga Müller zu einem ExpertInnen Videochat gewinnen. Nach einem Kurzreferat über den aktuellen rechtlichen Stand zum Thema Auskunftsrecht der Kinder über den Samenspender beantwortete sie Fragen der zugeschalteten Teilnehmer. Wir fassen hier Fragen und Antworten von ihr zusammen.

Wir danken Helga Müller, für Ihre Teilnahme.


Wichtiger Hinweis:
Dies ist eine gekürzte Zusammenfassung eines Protokolls und stellt keine juristische Beratung dar; falls sich, trotz sorgfältiger Bearbeitung, darin Fehler befinden, dann gehen diese allein auf unser Verständnis der Ausführungen und Antworten der Referentin zurück.

Das Team des DI-Netzes


  • Wie ist der aktuelle Stand bzgl. des Zugangs zu Spenderdaten, bzw. Informationen über den Samenspender zu erhalten:
    • Zu unterscheiden sind zwei Gruppen: Menschen, die vor dem Samenspenderegistergesetz 2018 gezeugt wurden und Menschen, die danach gezeugt wurden.
    • Für die zweite Gruppe ist es unkompliziert:
      • Entscheidend beim Auskunftbegehren ist der Informationswunsch des Kindes, nicht der Eltern, also nur das Kind hat einen Anspruch auf Auskunft.
      • Nichtsdestotrotz können die Eltern mit dem Hinweis auf das Interesse des minderjährigen Kindes und dessen Anspruch das Auskunftsbegehren durchsetzen.  
      • Es bedarf heute in den Rechtsprozessen zur Auskunft von Spenderdaten keiner Argumentationsaufwendungen mehr wie in früheren Jahren.
    • Für die erste Gruppe gilt:
      • Wenn die Vertragsunterlagen nicht eindeutig und klar sind, wird nicht gerne Auskunft gegeben. Wenn aber ein Anwalt eingeschaltet wird, dann geht es schnell, so die Erfahrung.
      • Man braucht auf jeden Fall Unterlagen, die belegen, dass die Mutter in einer bestimmten Klinik behandelt wurde (dazu zählen zur Not auch Kontoauszüge). Man muss heute nicht mal mehr Originale beim Gericht vorlegen (elektronischer Datenverkehr).
      • Man muss noch nicht mal sagen, dass ein berechtigtes Interesse an der Auskunft besteht. Das ergibt sich aus dem Gesetz.
      • Viele Arztpraxen bieten kein vermittelndes (psychosoziales) Gespräch mehr an, es liegt dann an den erwachsenen Kindern bzw. Eltern, stellvertretend für das (minderjährige) Kind, an den Spender heranzutreten.
      • Viele Auskunftsbegehren der älteren Generation der „Kinder“ sind nicht erfolgreich (Unterlagen seien nicht mehr vorhanden). Immer wieder gibt es aber auch Erfolge.
  • Es gibt einen mittlerweile erfolgreich beschrittenen Umweg, um die Identität des Samenspenders zu erfahren:
    • Der Weg führt über den Kontakt und das Ermitteln von genetischen Halbgeschwistern.
    • Hierfür werden US-amerikanische Gendatenbanken benutzt. Auch der Verein „Spenderkinder“ recherchiert untereinander nach möglichen Halbgeschwistern
    • Inzwischen gibt es auch eine Klage auf Bekanntgabe der Halbgeschwister. Diese wurde vom Landgericht Gießen abgewiesen. Es gibt aber Länder, z.B. Neuseeland, in denen die Auskunft über Halbgeschwister unproblematisch geregelt ist.

Weitere interessante Fakten zum:

  • Samenspender:
    • Diese sind meist offen für Kontaktaufnahme,
    • haben von sich aus Interesse daran
    • eine hohe Nachkommenschaft dämpft die Bereitschaft des Samenspenders, für Kontakt mit den Nachkommen bereitzustehen
    • Bisher ist nicht bekannt, dass ein Spender gegen die Herausgabe seiner Daten geklagt hat.
    • Oft wurde von Behandlern ihre Zögerlichkeit der Herausgabe von Daten mit dem Interesse und dem Schutz der Spender begründet. Es scheint aber gar keine Schutzbedürftigkeit bestanden zu haben.
  • Gerichtlichen Vorgehen, um Spenderdaten zu erhalten:
  • Ist für die Sicherstellung einer späteren Verfügbarkeit von Spenderdaten eine notarielle Datenhinterlegung durchgeführt worden, so muss man sich an den Auftraggeber der Hinterlegung wenden, um für sein minderjähriges Kind die Daten zu erhalten. Notfalls eben auch mit einem zivilrechtlichen Prozess mit gegen den Auftraggeber der Hinterlegung, dem Ziel der Herausgabe der Daten.
  • Gegen wen muss man klagen? Entscheidend ist, mit wem man einen Vertrag hat, ob mit der Samenbank, dem Behandler bzw. der Kinderwunschklinik
  • Der Streitwert wird meist bei (geringen) ca. 2000 Euro angesetzt, was wenig Druck auf die Behandler erzeugt, selbst wenn der Prozess aus ihrer Sicht verloren wird. Andererseits verringert das aber auch mögliche Kosten der Kläger.
  • Es handelt sich um einen Zivilprozess, kein familiengerichtliches Verfahren.
  • Da es um höchstens eine Ordnungswidrigkeit geht (kein Strafprozess), können zur Erlangung von Akten, bei einem Zweifel, ob es wirklich keine Akten mehr gibt, keine Hausdurchsuchungen angeordnet werden.
  • Die Behandler, um die es geht, sind meist im fortgeschrittenen Alter: angedrohte Konsequenzen durch die kassenärztlichen Vereinigungen (Zulassungsentzug) entwickeln wenig Druck.
  • Vorhandene Daten von einem Arzt, der in Ruhestand geht, müssen an den Rechtsnachfolger zur weiteren Aufbewahrung weitergegeben werden.
  • In der Frühzeit der Samenspendepraxis hatten die meisten Beteiligten kein Interesse, sogar Angst vor Transparenz und Offenheit, so fand vieles im Dunkelfeld statt: Es gibt Hinweise, dass manche Behandler selbst Samenspender waren oder aus dem persönlichen Bekanntenkreis rekrutiert haben. Dabei konnte es vorkommen, dass eigene Leitsätze nicht eingehalten wurden, wie z.B. die Begrenzung der Halbgeschwisteranzahl;
  • Selbst wenn der Arzt im Rahmen eines Prozesses dazu verurteilt wird, Auskunft zu geben, kann es sein, dass die Auskunft trotzdem nicht erfolgt, weil er sich darauf beruft, keine Akten mehr zu haben. Dann müssten die Kläger nachweisen, dass er noch welche hat, was de facto unmöglich ist, so läuft ein gewonnener Anspruch doch ins Leere.
  • In Verfahren wird oft durch die Behandler problematisiert, dass das Kind mglw. gar nicht vom Samenspender abstammt, so wurde in der Vergangenheit schon mal ein Abstammungsgutachten verlangt, mit dem Argument: die Daten des Spenders könnten übermittelt werden, obwohl das Kind gar nicht von ihnen abstammt. Dieser Argumentation wird aber nicht von den Gerichten entsprochen. Es genügt dem Gericht meist das Vorlegen von Unterlagen, die auf eine Spendersamenbehandlung hinweisen. Daraus wird dann der legitime Anspruch auf Herausgabe von Spenderdaten abgeleitet.
  • Andererseits: wenn von den Behandlern ein Abstammungsgutachten verlangt wird, dann darf man schon davon ausgehen, dass sie im Bedarfsfall auch die Samenspenderdaten vorliegen haben.
  • Eltern können für ihre Kinder, die seit dem Samenspenderregistergesetz 2018 gezeugt wurden, die Spenderdaten stellvertretend für das Kind beim staatlichen BFarM über ein einfaches Formular anfordern. Dafür braucht kein Nachweis eines berechtigten Interesses erbracht werden.

Halbgeschwisterthema:

  • Auch in Deutschland zeigt sich, dass die zugesagte Begrenzung der Anzahl möglichen Halbgeschwister nicht überall umgesetzt wurde, es gibt schon sehr große Halbgeschwistergruppen.
    • Moderne Samenbanken haben das Thema in ihrer Praxis entdeckt und gerade jüngere ÄrztInnen zeigen sich offen, hier auch Angebot für eine Unterstützung bei der Vermittlung von Halbgeschwistern aufzubauen; man darf gespannt sein.
    • Es wäre sehr sinnvoll, eine Habgeschwister Datenbank aufzubauen, in der Daten zusammengetragen werden; zwar ist man in Europa, anders als im US-amerikanischen Raum eher zögerlich (Datenschutz), aber hier entwickelt sich langsam eine größere Bereitschaft und Interesse an diesem Instrument
    • Einem Aufbau einer privaten Halbgeschwisterdatenbank stehen gar nicht mal große Probleme gegenüber, weil datenschutzrechtlich ja alle Interessenten und Nutzer einer solchen Datenbank hier ja ihr klares Einverständnis gegeben haben.